Spiegelgeschichte für Mutige!

Wer bin ich geworden, wo ist mein ICH geblieben?

Das fragt sich sicher so mancher, wenn er über sein Leben nachdenkt.

Von manchen KlientInnen höre ich während der Erstsitzung Sätze wie diese:

»Ich bin nicht mehr der Mensch, der ich einmal war!« oder »Ich weiß gar nicht

mehr, wer ich wirklich bin.«

Alte Holzbank mit Tisch auf einer Wiese bei Sonnenbühl auf der Schwäbischen Alb
stiller Platz zum Nachdenken ...

Wenn ich dann frage, wann ihnen dieses Gefühl zum ersten Mal aufgefallen ist,

kommt immer die gleiche Antwort – »Ich weiß es nicht!« Das fällt einem oft erst dann

auf, wenn Erschöpfung und dauerhaft negatives Denken die Gesundheit beeinflussen.

Wenn ich solche oder ähnliche Sätze höre, gebe ich der Person einen Spiegel und sage: »schauen Sie sich bitte ganz bewusst an, schauen Sie ganz genau hin – was sehen Sie?«

Die meisten schauen nur kurz hinein, lassen den Spiegel sinken und sagen – »mich,

aber sonst sehe ich nichts.«

Eben, das ist es … man sieht sich nicht mehr wirklich.

Kein Lächeln, kein Staunen. Keine Ausstrahlung, keine Ablehnung – nichts – nicht die kleinste Regung, das Gesicht ist leer.

Versucht es mal. Nehmt einen Spiegel und euch die Zeit. Hineinschauen und warten.

Nur schauen und warten – ohne Zeitlimit.

Und wenn man dann denkt: Bin das ich, wen oder was sehe ich da, sollte man sich die Geduld nehmen und versuchen, in eine Selbstreflexion zu gehen.

Sich zum Beispiel fragen:

»Ist der Mensch von früher – bin ICH, wie ICH war – noch zu erkennen? Und wohin ist

die Zuversicht, die Lebensneugier, die Energie, die ich ausstrahlte, entschwunden?«

Hat man sich, sein wahres Wesen, womöglich verloren, in der Hektik der Zeit, in den Pflichten des Lebens?

Sich selbst bewusst sein, sich achten und respektvoll mit sich umgehen – wer macht

das schon! Kaum jemand ist sich seiner selbst wirklich bewusst, und wer nimmt sich

schon die Zeit, sich zu erforschen?

Wir können alle, ohne groß darüber nachzudenken, prima funktionieren.

Aber wir sind menschliche Wesen, keine Maschinen!

Und in den Spiegel schauen, ist funktionelle Zweckmäßigkeit – äußerlich.

Hinter den Spiegel schauen – innerlich – macht kaum jemand.

Und so war das einmal ...

Beginnt die Pubertät, schaut man ganz genau in den Spiegel, erkennt noch den

winzigsten Pickel, findet sich hübsch-hässlich! Die Augen zu klein oder zu groß,

die Nase zu lang oder zu dick – Ach, man findet alles Mögliche, weil…

Man schaut genau hin, aber – »äußerlich.«

Wird man älter und kommt ins Disco-Fieber, übt man vor dem Spiegel das Posen:

Wie wirkt man, wenn man lächelt oder sinnlich guckt! Augenaufschläge werden geübt.

Wie sieht man aus mit dieser oder jener Frisur?

Man dreht und wendet sich, um einen Blick von sich im Profil zu erhaschen.

Kurz, man schaut genau hin, aber – »äußerlich.«

Im Laufe des Lebens bleibt der Blick in den Spiegel weiterhin zweckmäßig.
Zähne putzen, schminken oder rasieren, Haare kämmen – man schaut nicht mehr

so genau hin, kein Interesse am Selbst oder es fehlt die Zeit.

Kommt man in den Herbst des Lebens, schaut man wieder genauer hin und erschrickt. Man erkennt sich kaum noch, aber nicht wegen irgendwelcher Falten. Als reifer und vielleicht auch nachdenklich gewordener Mensch fragt man sich dann:

Wer bin ich geworden und wo ist mein ICH geblieben?

Vielleicht ist das Gesicht im Spiegel geprägt von Enttäuschungen, von nicht erfüllten Träumen oder von Resignation – das Außen zeigt das Innen.

Spruchtafel am Wegesrand bei Melchingen auf der Schwäbischen Alb
wahre Worte ...

Und dann erinnert man sich und fragt: »wo ist das Glitzern in den Augen geblieben,

wo das strahlende Lächeln, wo die Begeisterung am Dasein, wo die Neugier auf Leben?«
Der Spiegel zeigt ein fremdes Gesicht, von der Zeit geprägt.

Doch nichts ist verloren,                                                                                 alles ist noch da, man muss es nur wieder aufwecken!

Jeder kann das, wirklich jeder.

Es hat mit positivem Denken zu tun, mit Glauben und Vertrauen an und in sich selbst.
Mit zuversichtlichen Gedanken, mit Freude und Begeisterung für jeden neuen Tag.
Nichts im Leben ist so schlecht, als dass man nicht auch ein klein bisschen Gutes darin finden könnte!

Wenn man nun den Mut findet und länger dabei bleibt und ununterbrochen in den

Spiegel hineinschaut, dann verändert sich etwas. Der Blick verschwimmt und plötzlich erscheint ein ganz anderes Gesicht.

Weicher und liebevoller, innerlich Ruhe und Güte ausstrahlend.

Ein kleiner Schalk blitzt aus den Augenwinkeln… und dann beginnt man zu lächeln.

Das Herz wird leichter, die Stimmung zuversichtlicher und man fühlt sich auf

einmal federleicht und viel, viel besser.

Hat sich das Durchhalten gelohnt? Ganz sicher – weil:

Allein schon deshalb, weil man sich Zeit gelassen und genauer hingeschaut hat,

ist es in einem ganz anders geworden. Es reicht ein einfacher Spiegel, um erinnert zu werden, dass das wirkliche ICH im Menschen immer noch vorhanden ist.

Haltet es ganz fest und vergesst euch nicht …

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